2001 - 2003

„Petites Perceptions“ oder: die Referenz an den Alltag


2001/2003 beschäftigte sich Klie intensiv mit Gottfried Wilhelm Leibniz und Friedrich Nietzsche, was bereits 2001 in der Werkgruppe „Petites Perceptions" seinen Niederschlag fand.
Den Begriff entlehnte Klie der Monadologie von Leibniz. Leibniz stellte der Bewusstwerdung (Apperzeption), als dem klar und mit Selbstbewusstsein Wahrgenommenen, die Wahrnehmung (Perzeption) als eine vage und unscharfe Vorstufe des Denkens gegenüber. Darüberhinaus unterschied er noch eine „kleine Perzeption“, die unmerklich ist und unter der Bewusstseinsschwelle bleibt. Leibniz schrieb): „Auf ihnen (den Petites Perceptions) beruhen unsere unbestimmten Eindrücke, unser Geschmack, unsere Wahrnehmungsbilder der sinnlichen Qualitäten, welche alle in ihrem Zusammensein klar, jedoch ihren einzelnen Teilen nach verworren sind; auf ihnen beruhen die ins Unendliche gehenden Eindrücke, die die uns umgebenden Körper auf uns machen, und somit die Verknüpfung, in der jedes Wesen mit dem übrigen Universum steht. Ja, man kann sagen, dass vermöge dieser kleinen Perzeptionen die Gegenwart mit der Zukunft schwanger geht und mit der Vergangenheit erfüllt ist, dass alles miteinander zusammenstimmt und dass Augen, die so durchdringend wären wie die Gottes, in der geringsten Substanz die ganze Reihenfolge der Bewegungen des Universums lesen könnten.“ Indem er auf Schlaf und Traum fokussierte, eröffnete Leibniz der Philosophie das Thema des Unbewussten.
Was Klie an der Ideenwelt von Leibniz faszinierte, formulierte er in der Einleitung seines Fotobuches „
Petites Perceptions“. Die Petites Perceptions seien keine bewusst erlebte Gedankenarbeit, sondern diese entwickelt sich unkontrollierbar. „Wir empfinden ihre Wirkungen, aber ihre Inhalte sind uns ebenso wenig zugänglich wie die Struktur ihrer Wirkungen. Man könnte sie als poetische Impulse bezeichnen.“ In diesem Buch nahm er eine weitgehend ungeplante sechswöchige Reise durch Frankreich und Spanien zum Ausgangspunkt einer Untersuchung über Wahrnehmung und Bewusstwerdung, teilte 96 Fotografien in sechs Kapitel und ordnete diesen Teilen philosophische Begriffsfelder zu. Hier fand ein für seine Arbeit folgenreicher Wechsel statt. Nicht mehr die geplante, bereits während der Aufnahmesituation konzeptuelle Herangehensweise stand im Vordergrund. „Was passiert“ so fragte er, “wenn wir nicht auf die Dinge zufahren und diese Begegnungen vorausplanen, sondern sie sich auf uns zu bewegen, wir ihnen begegnen?“ Klie erkennt hier die Grenzen einer Konzeptualität, die sich selbst verabsolutiert. Die Einsicht: „…die kontinuierlich und dynamisch sich wandelnden Bedeutungsfelder der Sprache, der Wörter und der Bilder sind nur begrenzt analyse- und strukturierungsfähig … und systematische Versuche stoßen an Grenzen…“, bereicherte in der Zukunft die Palette seiner künstlerischen Strategien und gab den Alltagserfahrungen mit ihren „poetischen Impulsen“ (Petites Perceptions) mehr Raum.
Parallel zur Arbeit mit der Gruppe „projektSTRAND.org“ führte das zu einem freieren Umgang mit seinen philosophischen Quellen einerseits und andererseits zu einer Offenheit und zur Einbindung von Phänomenen des städtischen Alltags. Die Werkgruppe „Philosophie der Straße I – III“ (2004) war grundgelegt in der Werkgruppe Petites Perceptions.
Die Sprache verschleiert nach Nietzsche, dass der Mensch mit seiner Rede nur scheinbar das Wesen der Welt erfasst, aber in Wirklichkeit eine zweite Welt neben der ersten erfindet. Diese Einsicht übertrug Klie auf die Welt der Bilder. Nietzsches früher Aufsatz „Der Wanderer und sein Schatten“ wird für Klie zur Metapher für die Unzulänglichkeit der Worte und der Bilder, beide sind schattenhaft. in der Gruppenausstellung „
Artistenmetaphysik (link is external)“ (Haus am Waldsee, Berlin 2000/2001) installierte Klie 333 geschliffene Steine, 111 bedruckte Glastafeln und ein Foto („…der Stein ist hart…“, 2001). Zusammen mit einer 20-teiligen Fotoserie „Der Wanderer und sein Schatten“ (2000) reflektierte er über die Rolle der Sprache, der Schrift und der Begrifflichkeit bei Nietzsche.





English version



“Petites Perceptions” or: Reference to Everyday Situations



In 2001/2003, Klie was intensively busy with Gottfried Wilhelm Leibniz and Friedrich Nietzsche, a fact which was already reflected in the work group “Petites Perceptions” (“Small Perceptions”).
Klie adopted this concept from Leibniz’ “monadology”. Leibniz confronted the becoming conscious (apperception) as the clearly and self-confidently perceived with the observation (perception) as a vague and hazy preliminary stage of thinking. Moreover, he still distinguished a “small perception” which is imperceptible and remains below the brink of consciousness. Leibniz wrote: ”On them (the “small perceptions”) are based our undetermined impressions, our taste, our perceived images of sensitive qualities which are all clear in their entirety, but intricate in their singular parts; on them are based the impressions going ad infinitum, Impressions which the substances, surrounding us, exert on us, and thus, the link of each being with the rest of the universe. Sure, you may say that with the help of these small perceptions, the presence is pregnant with the future and filled up with the past, that everything goes well together and that eyes so piercing like God’s could read the whole series of the space movements in the least fragment.”
Focusing on sleep and dream, Leibniz infiltrated philosophy with the subject of the unconscious. What fascinates Klie in Leibniz’ conceptual world, he defined in the introduction of his book of photographs “Petites Perception”. The “Petites Perceptions” do not represent a consciously experienced work of thoughts, but developed uncontrollably. “We feel their effects, but their contents are not accessible nor the structure of their effects, either. You might term them as poetic impulses.” In this book, Klie’s starting-point of an examination of perception and consciousness was a rather unorganized sixweek-journey across France and Spain; he arranged 96 photographs into six chapters and appointed philosophical concepts to these parts. Here, a change took place with important consequences for his work. There was no more emphasis on the organized conceptual approach already during the exposure. “What happens”, he asked, “when we do not approach things and plan these encounters in advance, but they move towards us, so we encounter them?” Klie recognized the limit of conceptualism which becomes absolute itself. The insight: “... the constantly and dynamically changing semantic fields of language, words and pictures are only restricted in their ability of analyzing and structuring … and systematical attempts reach their limits …”, enlarged the range of his artistic strategies and offered more place to the everyday experiences with their poetic impulses” (Petites Perceptions).
Parallel to the work with the group “projectSTRAND.org”, this led to a more liberal handling of his philosophical sources on the one hand and on the other hand, to some frankness and to the insertion of phenomena of the urban everyday life. The work group “Philosophie der Straße I – III“ (“Philosophy of the Street I – III”, 2004) was based on the work group “Petites Perceptions”. According to Nietzsche, diction conceals that man only seemingly perceives the essence of the world with his speech, but in reality, invents a second world beside the first. Klie transferred this perception on the world of pictures. For Klie, Nietzsche’s early essay “The Wanderer and his Shadow” becomes a metaphor for the insufficiency of words and pictures, both being shadowy. In the group’s exhibition “Artistenmetaphysik“, (“Artists’ Metaphysics”, Haus am Waldsee, Berlin 2000/2001), Klie installed 333 polished stones, 111 imprinted glass boards and a photo (“… the stone is hard…” in 2001). Together with a photo series of 20 parts “The Wanderer and his Shadow” (2000), he reflected on the part of diction, writing and conception in Nietzsche’s theory.

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